Retrospektive - Bilder zweier Leben
Eigentlich hatten wir beide nie den Drang, unsere Bilder auszustellen und im Mittelpunkt zu stehen, sagt Siegfried Witschaß. Wir sehen uns auch nicht als Künstler. Trotzdem freuen sich die beiden, als ihre drei Kinder mit der Idee auf sie zu kamen, eine Ausstellung zu organisieren.
Wir sind in diesem Jahr beide 80 geworden und haben eine 160-Jahr-Feier veranstaltet, wo die ganze Familie zusammen kam. Da standen dann unsere Kinder mit einem Ausstellungsplakat in der Hand und versprachen uns, sich um das Organisatorische, also den Raum, die Rahmen, die Passepartouts und die Einladungen zu kümmern.
Die Überraschung ist gelungen. Die beiden sind noch immer gerührt. Ich sehe darin eine Anerkennung unserer Lebensleistung, sagt Elisabeth Witschaß. Ihr Mann nickt. Das stimmt. Es ist schön, wenn die Kinder meinen, dass man das zeigen kann, was die Eltern so zustande gebracht haben.
Elisabeth und Siegfried Witschaß malen, seit sie denken können. Sie verschönerte als kleines Mädchen die Kellerwände beim Fliegeralarm, er saß zu Haus unter dem Tisch und bekritzelte die Zargen. In den 50er Jahren lernten sie sich beim Studium kennen. Die beiden wurden ein Paar und bekamen nach dem Studium ihre ersten Anstellungen als Lehrer für Kunsterziehung sie an der Halberstädter Dom- und Ratsschule (dem heutigen Martineum), er an der GuthsMuths-Oberschule (heute GuthsMuths-Gymnasium) in Quedlinburg Wir waren damals erst 22 Jahre alt. Es gab Schüler, die waren nur 4 Jahre jünger, erzählt Elisabeth Witschaß. Respektvoll ist man Ihnen trotzdem begegnet bis auf wenige Ausnahmen. Lehrer hatten damals einen anderen Stand als heute.
Elisabeth Witschaß hat 40 Jahre lang als Lehrerin gearbeitet, ihr Mann Siegfried 43 Jahre. Sie haben tausenden Schülern die Farblehre nahe gebracht, haben ihnen Maltechniken vermittelt, den Bildaufbau erklärt und besprochen, wie man sich ein Kunstwerk erschließt. Beide haben zwar in verschiedenen Schulen unterrichtet, aber das Konzept ihres Unterrichts haben sie geteilt. Es ging uns nicht darum, aus den Schülern Künstler zu formen. Aber wir haben versucht, sie für Kunst zu interessieren.
Den Satz Ich kann doch sowieso nicht malen. Haben die beiden bei ihren Schülern nicht gelten lassen. In der Kunst sei vieles erlernbar, ist das Ehepaar überzeugt. Ich habe in solchen Fällen geantwortet: Es kommt niemand als Mathematiker auf die Welt und niemand als Künstler, sagt Elisabeth Witschaß. Um den Schülern mit ihren unterschiedlichen Stärken gerecht zu werden, haben sie immer versucht, den Unterricht so abwechslungsreich wir möglich zu gestalten. Man muss einem Schüler die Chance auf Erfolgserlebnisse geben. Es kann nicht jeder alles.
Ihr Mann erinnert sich an einen Professor, der mal gesagt hat: Zeichnen ist Sehen lernen. Der Satz gefällt ihm. Wenn man etwas malen will, muss man bewusst beobachten und kann die Umwelt nicht einfach an sich vorbei ziehen lassen. Ein Baum ist eben nicht nur ein Strich mit einer Kugel obendrauf.
Im Unterricht sei es nicht nur ums praktische Malen und Zeichnen gegangen, sondern auch darum, Gestaltungsgrundsätze zu vermitteln und ein Urteilsvermögen auszubilden. Manches davon haben die Schüler von einst heute immer noch im Kopf, obwohl sie inzwischen schon 50 Jahre Abitur feiern.
Wir werden hin und wieder zu Klassentreffen eingeladen. Wenn dort jemand sagt: Ich habe kürzlich in dem und dem Museum vor einem Bild gestanden und an das gedacht, was Sie mir im Kunstunterricht beigebracht haben, dann ist das schon toll.
Dana Toschner
Quelle: Martini - Das HalberStadtmagazin