Locked in statt Lockdown
Geschichten aus dem Bibliotheksalltag – leider …
Am vergangenen Montag lief ich gegen eine Glastür. Die Glastür in der 5. Ebene, die die Bibliothek vom Verwaltungsbereich trennt und üblicherweise nicht verschlossen ist, wenn sich die Mitarbeiter in den Büros aufhalten – selbst dann nicht, wenn sich (wie in meinem Fall) nur eine Mitarbeiterin in nur einem Büro aufhält. Die anderen Büros sind ja ganz individuell abgeschlossen, sodass keine Notwendigkeit besteht, den gesamten Verwaltungsbereich in einen Hochsicherheitstrakt zu verwandeln … dachte ich zumindest … bis ich an besagtem Montag meine Arbeit beendete, meinen PC runterfuhr, mein Telefon abmeldete, meine Jacke anzog, meine Tasche nahm, das Licht ausschaltete, mein Büro abschloss und mit Schwung – Peng – voll gegen die Glastür lief.
Ok, ich lief weniger dagegen, als dass ich an der Türklinke zog und dann daran hing und dann jammerte, weil sich die Tür einfach nicht öffnete. Es ist eine Glastür, ich konnte den Feierabend also hindurch winken sehen, er trug einen pinken Federhut und rief: „Fang mich doch!“, dann sauste er los. Ich zog lässig meinen Schlüssel aus der Tasche, schloss die Tür auf und ging dann auch – als ob ich mich vom Feierabend hetzen lassen würde – nix da, ich gehe dann, wenn es mir passt … bzw. dann, wenn Frau H. mich lässt …
Warum ich Ihnen das erzähle, liebe Leser? Damit Sie wissen, dass ich eine liebe und hochgeschätzte Kollegin habe, die mich zwanghaft einschließen muss. Sie finden das ein bisschen theatralisch oder sogar völlig überzogen? Was soll ich sagen: Es war nicht das erste Mal, dass Frau H. mich eingeschlossen hat – ok, war es doch, aber als Frau Z. mich einschloss, war es trotzdem ein und dieselbe Person! Und das erste Einschließen war tatsächlich etwas dramatischer:
Vorab eine kurze Erläuterung: Der Veranstaltungskeller und die Bibliothek können getrennt voneinander „scharf geschlossen“ werden – was ja Sinn ergibt, weil sie auch getrennt voneinander genutzt werden können. Dadurch muss aber natürlich auch darauf geachtet werden, dass der Keller gesichert ist, wenn wir die Bibliothek schließen. Deshalb gehört zur „Kontrollrunde“ vor der Schließung neben dem Überprüfen der Fenster und dem Ausschalten der OPACs eben auch der Test, ob der Keller gesichert ist. Der Test kann ganz analog erfolgen (indem man einfach die Treppe runtergeht und nachsieht) oder vollautomatisch mit dem sogenannten „B.-Test“. Der B.-Test läuft folgendermaßen ab: Man drückt im Fahrstuhl auf den „KG-Knopf“ (= Kellergeschoss), ist der Keller gesichert, passiert nichts; ist der Keller nicht gesichert, leuchtet der Knopf, weil der Fahrstuhl nun in den Keller fahren wird, was er logischerweise nicht tun würde, wäre der Keller gesichert.
Soweit klar: A) Knopf leuchtet = Obacht, der Keller ist noch offen, jemand muss handeln; oder B) Knopf leuchtet nicht = Keller zu, alles erledigt.
Nun zur Begebenheit: Vor einigen Jahren (Ja, richtig, ich hole eine uralte Geschichte hervor – weil ich muss, es handelt sich hier um Notwehr – obwohl, oder gerade weil die Kollegin dazu sagt: „So oft hab ich dich noch gar nicht eingeschlossen!“) hatte ich am Ende eines schönen, aber ziemlich anstrengenden Arbeitstages kurz nach 18 Uhr meine Schließrunde durch die Bibliothek nahezu beendet und musste lediglich den Keller noch kontrollieren. Ich rief den Fahrstuhl und drückte, als dieser sich öffnete, auf den „KG-Knopf“, der sich erdreistete, zu leuchten … Mist, ich musste noch in den Keller, und weil ich an diesem Tag wirklich oft im ganzen Haus hin und her und hoch und runter gelaufen war, war ich nicht richtig motiviert, zu laufen, also blieb ich gleich im Fahrstuhl und rief nur raus: „Ich fahr schnell in den Keller.“ Dort angekommen, stieg ich aus, wollte die Tür öffnen und stellte fest: zu! Ich nahm meinen Schlüssel, steckte ihn ins Schloss und drehte, um anschließend festzustellen: immer noch zu! Ich drehte den Schlüssel und drückte gleichzeitig gegen die Tür: ZU! Häh? Und dann verriet mir der Blick auf die Schließanlage (die durch die Glastür hindurch auch gut zu sehen ist), dass der Keller gesichert war. Doppel-Häh???
Ich wollte also schnell wieder hoch, nicht, dass ich da noch einen Alarm auslöse – Tja, aber die Tür geht nicht auf, wenn der Keller gesichert ist … und die Fahrstuhltür dann übrigens auch nicht mehr … Und so saß ich ein wenig hinter der Tür, wie die Protagonisten aus „The Philosophers - Wer überlebt“ im ersten Szenario des Gedankenexperiments und konnte mir überlegen, was ich tun sollte und ob und wann mich wohl jemand rausholen würde … Vor meinem geistigen Auge spielte sich schon der Film ab, wie Frau R. vor dem Ausgang steht, ungeduldig auf die Uhr schaut und fragt: „Wo bleibt sie denn man?“ und Frau Z. sie dann fragt: „Ist sie schon gegangen?“ und beide beschließen, dann jetzt auch zu gehen (Wir gehen eigentlich immer alle gemeinsam, aber konnte ich mit Bestimmtheit ausschließen, dass die beiden mich einfach zurücklassen würden? Ich konnte nicht!) Inzwischen war es mir auch noch irgendwie gelungen, dann doch Alarm auszulösen, bevor mir endlich die richtige Idee kam: Frau R. wird im Spätdienst immer von ihrem Mann abgeholt, der unten im Eingangsbereich auf sie wartet – er könnte mich hören, wenn ich in den Fahrstuhl hineinrufen würde … was ich dann tat … und er hörte mich wirklich. Er gab ihr Bescheid und sie kam, um mich zu retten … übrigens zeitgleich mit dem Sicherheitsdienst … ich hatte ja irgendwie Alarm ausgelöst …
Monatelang (oder nur wochenlang? Manches verschwimmt dann doch in der Erinnerung …) erklärte ich allen (ungefragt), wie unerklärlich es war, dass der Fahrstuhl überhaupt erst in den Keller gefahren war, bevor Frau Z. mir gestand, dass sie den Keller offensichtlich gesichert hatte, als der Fahrstuhl (mit mir) schon unterwegs war … bis dahin war bereits ein tiefes Misstrauen zwischen mir und Fahrstuhl gewachsen, auf dessen Basis ich immer noch lieber zu Fuß gehe … egal wie oft …
PS: Falls Sie „The Philosophers – Wer überlebt?“ noch nicht kennen sollten, empfehle ich Ihnen sehr, sich den Film auszuleihen und anzusehen – nicht nur, damit Sie meine plastische Beschreibung besser nachvollziehen können, sondern vor allem, weil es ein wirklich sehr guter, ein absolut sehenswerter Film ist und weil Sie dann ausgiebig mit mir über die Interpretation des Endes streiten – wenn nicht sogar philosophieren – können ;)