BCKategorie 21.09.2015 09:27:53 Uhr

Zur Staatsfeindin erklärt - Mehr als eine Ausreise-Geschichte

Dorothe Kress

Auf die Uhr schauend entschuldigte sich Dorothe Kress einige Male, dass sie wahrscheinlich die geplante Zeit ihrer Lesung überziehen wird. Doch ihr Publikum schien der Faktor Zeit sehr wenig zu interessieren.


Um so mehr ihr Buch „Das Wagnis“, aus dem die gebürtige Halberstädterin im Gewölbekeller der Stadtbibliothek „Heinrich Heine“ las.
Einigen ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer war die Autorin nicht unbekannt, verbinden sie mit ihr doch gemeinsame Erlebnisse in der Jugend. Damals hieß die heute in Kalifornien lebende Frau noch Dorothe Behrens und drückte in der EOS „Bertolt Brecht“ die Schulbank. Erst nach dem Studium verließ sie ihre Heimatstadt.


Wie ihr Leben dann verlief, umriss sie mit wenigen Sätzen, um sich dann den Jahren 1984 bis 1989 zu widmen. In dieser Zeit veränderte sich für die Frau, damals um die Vierzig, vieles. Sie selbst spricht heute von „einer zwar kurzen, aber der intensivsten Zeit meines Lebens“. Nach dem Pädagogikstudium im Sächsischen gelandet, hatte die junge Lehrerin eine Familie gegründet, zwei Kinder bekommen und in einem abgelegenen erzgebirgischen Dorf unterrichtet.


Einen tiefen Einschnitt gab es mit dem Tod ihres Mannes. Alle mit ihm geschmiedeten Zukunftspläne hatten auf einmal keinen Bestand mehr. Nun lebte sie mit den Schwiegereltern unter einem Dach und hatte zwar Freunde, doch wenig Beistand und Hilfe. Irgendwann sann sie nach Veränderung und suchte Kontakt zu Verwandten in der Bundesrepublik. Heimliche Treffen fanden statt. Dabei war ihr nicht ganz wohl, denn: „Ich wollte weder mir noch anderen Probleme bereiten. Ich war Lehrerin und eine loyale Vertreterin dieses Staates, von dem ich meinte, dass er der bessere Teil Deutschlands ist.“


Zu einem Wandel im Denken kam es in Mitte der 1980er Jahre, als die Reisebestimmungen gelockert wurden und Verwandte im Westen zu besonderen Anlässen besucht werden durften. Andere aus ihrer Familie bekamen Genehmigungen, ihr Antrag wurde abgelehnt. Stattdessen folgte eine längere Aussprache beim Kreisschulrat. Dieses wurde zum
Schlüsselerlebnis: „Bis dahin haben andere Entscheidungen für mich getroffen, ab sofort wollte ich das selbst tun.“


In ihrem autobiografisch geprägten Buch erlebt die Person Kristina Blauberger all das, was die Autorin selbst durchgemacht hat. „Namen und Orte sowie verwandtschaftliche Beziehungen habe ich verändert, alle von mir dargestellten Ereignisse beruhen jedoch auf wahren Begebenheiten“. 


Da geht es um die Begegnungen mit dem Amerikaner, die zum Heiratswunsch, zur Hochzeit und letztendlich zur Ausreise in die USA führte. Begleitet wurde diese Phase durch zahlreiche unerfreuliche Kontakte mit der Staatsmacht, insbesondere mit der Stasi. „Warum behandelt man mich so in dem Staat, den ich immer vertreten habe?“, diese Frage stellte sich Dorothe Kress oft. Den Amerikaner zu heiraten und ihm in dessen Heimat zu folgen, sei eine rein private und keine Entscheidung gegen des Staat gewesen. Doch das wollte ihr damals niemand abnehmen.
„In all den Jahren nach meiner Ausreise bin ich nicht bitter geworden und verfolge niemanden, der uns das Leben schwer gemacht hat“, bekannte sie, „doch ich musste meine Geschichte einfach aufschreiben.

Es gibt weitaus schlimmere Schicksale, über die aber nichts zu lesen ist.“ Ihr Buch nennt sie ein „kleines Mosaiksteinchen, mit dem ich zur Aufklärung der Geschichte beitragen will“.
Die Stasi-Akte von Dorothe Kress umfasst 178 Seiten. Der letzte Eintrag erfolgte am 8. November 1989. Es sind Kopien ihrer Briefe aus den USA an Verwandte in der DDR. „Nach der Akteneinsicht musste ich mit schreiben beginnen“, erinnerte sie sich, „heute bin ich froh, es getan zu haben.“ 


Bei ihren zahlreichen Lesungen hätten ihr Zuhörerinnen und Zuhörer, zum Teil durch eigene Erlebnisse, Erfahrungen und Erinnerungen bestätigt, dass es ein ehrliches Buch sei.
So war es auch am Abend im Halberstädter Bibliothekskeller. Leiterin Birgit Sommer bedankte sich bei dem weitgereisten Gast und nannte "Das Wagnis" ein wichtiges Buch, das Lebens- und Zeitgeschichte vereint. Im Gespräch, das sich nach dem offiziellen Ende der Lesung in kleinem Kreise fortsetzte, wurde der Autorin bestätigt, dass in ihrem Buch keine Schwarzweißmalerei stattfindet, dass darin nichts schön- und nichts schlechtgeredet wird.

Das bestärkt Dorothe Kress, dem Wunsch vieler nachzukommen und demnächst eine Fortsetzung zu schreiben, in der sie
über die Jahre nach der Ausreise erzählt.


Gerald Eggert
Journalist

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