Drehbuch, Regie, Kamera und Schnitt in einer Hand Der neue deutsche Film in der Alten Theaterkantine
Zum dritten Mal hatte das Nordharzer Städtebundtheater am 6. März zur Text-Reihe Alexander Kluge in die Alte Kantine eingeladen. Dass ein überaus interessiertes Publikum gekommen war, zeigte der Verlauf des kurzweiligen Abends.
Sehr rasch entwickelte sich das Podiums-Gespräch zwischen dem Dramaturgen, Sebastian Fust, und seinem Gast, dem Filmwissenschaftler Christian Pischel, zu einer anregenden Diskussion mit den Gästen.
Untrennbar sei der Filmemacher Alexander Kluge und das Oberhausener Manifest verbunden - eine Erklärung, die 1962 anlässlich der 8. Westdeutschen Kurzfilmtage Oberhausen in einer Pressekonferenz mit dem Titel Papas Kino ist tot von 26 Filmemachern abgegeben wurde. Mit diesem Einstieg eröffnete Pischel seine Einführung in den Abend, der sich mit dem filmischen Werk Kluges befassen sollte. Es sei damals darum gegangen, eine neue Formsprache in die Kinofilme zu legen, einen neuen Geist der Jugendlichkeit zu entwickeln und die Wahrnehmung zu demokratisieren. Die Unterzeichner des Oberhausener Manifestes suchten Anschlüsse an die filmische Avantgarde der 1920er/30er Jahre. Dort hatten sich Genres wie der Dokumentar- oder Montagestil entwickelt filmische Erzählungen, in denen der Schnitt immer mehr verschwindet völlig gegen den Standard des Unterhaltungskinos dieser Zeit. Die russische Formale Schule, mit Filmemachern wie Eisenstein (Panzerkreuzer Potemkin) und Werthoff an der Spitze, hatte großen Einfluss auf die jungen deutschen Filmer der 1960er/70er Jahre.
In Frankreich wurde der Begriff des Autorenfilms - Drehbuch, Regie, Kamera und Schnitt in einer Hand - in Stellung gebracht; sehr attraktiv auch für deutsche Filmemacher dieser Zeit, zu deren Protagonisten Kluge, Fassbinder, Schlöndorff oder Herzog gehörten. Ziel war es, ein Kunstkino in Deutschland zu installieren. Ein erstes Beispiel dafür und stilbildender Klassiker des Neuen Deutschen Films war Kluges Abschied von gestern (1966, ausgezeichnet mit dem Silbernen Löwen in Venedig).
Pischel sprach von einer fruchtbaren Periode im deutschen Kino sondergleichen mit dem Hinweis auf die ebenfalls in dieser Zeit liegenden 68. Filme dieser Periode lagen mehr an der Lebenswirklichkeit der Menschen, insbesondere der jüngeren Menschen. Während dieser Phase ist Kluge auch Theoretiker, er arbeitet an der Filmhochschule Ulm. Auslöser dafür, sich mit dem gesellschaftlichen Wirkungspotential der Filme zu befassen. Dabei spielen wirkliche Erfahrungen von Menschen, wie auch in seinen literarischen Werken, eine zentrale Rolle. Unsere Erfahrungen werden zu Geschichten Geschichten des Films und damit zu Geschichten der Öffentlichkeit.
Anhand einiger Ausschnitte des Films Abschied von gestern und der Präsentation des ersten Kurzfilms von Alexander Kluge Brutalität in Stein (1962) erklärte Christian Pischel dem Publikum in der Alten Theaterkantine die Besonderheiten der Handschrift Alexander Kluges und erläuterte, wie Montage in dieser speziellen Form des Films funktioniert.
Man benötigt keine drei Sekunden, um in dem Kurzfilm das Nürnberger Parteitaggelände zu erkennen. Die mit der Hand geführte Kamera scannt die Steine, die Fluchten, die aufragenden Wände, Säulen und Öffnungen nahezu prätentiös ab. Der Ton - hier die Musik, das Gebell der Nationalsozialisten oder auch die Stille - ist gezielt, meist versetzt zum Schnitt eingesetzt. Das hat Methode. Der Film holt aus der Architektur die Brutalität heraus: Das kommt beim Filmkonsumeten auch direkt an.
Darüber hinaus erzeugen Bilder wiederum Bilder in den Köpfen der Betrachter, möglicherweise sehr unterschiedliche. Dies kann wiederum nur geschehen, weil diese Art des Films nicht lenkt - und das ganz bewusst nicht - sondern Freiräume gibt. Wie unterschiedlich diese Assoziationen beim Betrachter sein können, zeigte sich in den intensiven Gesprächen mit dem Publikum, die sich an diesem Abend in der Alten Theaterkantine auch noch über die Text-Veranstaltung hinaus erstreckten.
Der nächste Text-Abend findet am 18. April 2013, 19.30 Uhr, statt. Für diesen Abend hat der Dramaturg Sebastian Fust die Direktorin des Gleimhauses, Dr. Ute Pott, als Interviewpartnerin eingeladen, um mit Ihr über den Autoren Alexander Kluge zu sprechen.